„Kamera her oder aua“ – Prolog
Erinnerst du dich noch an meinen Beitrag über das Geschenk von Mark? Leica. M6. Analog. Ein Tag die Leica ausgeliehen bekommen. 36 Bilder in schwarz/weiß. Vor Kurzem war es dann so weit, Mark hatte sich mit mir auf den standardmäßigen Cappuccino verabredet um mir die Leica zu geben. Und nicht einen, sondern sogar zwei Ilford HP5 Plus 400 Filme. Scharfer Tobak.
– Erklär. Zeig. Film einleg. Klick. Aufzieh. Aha, hmmmm, aaaah ok –
Wird schon klappen. Puh, irgendwie aufregend eine Leica in der Hand zu halten. Und damit zu fotografieren. Meine Hände zittern leicht. Analog, oh Gott. Mir kommt spontan der Spruch „I don’t Leica“ in den Sinn.
Als einer auszog um die Welt (analog) abzulichten
Da stehe ich also nun. Domke Tasche umgehängt. Leica M6 samt Summilux – M 50 1.4, zwei Ilfords. Wohin nun? Was fotografieren?
Im Bewusstsein der Endlichkeit an Auslösungen werde ich zum stillen Beobachter. Noch mehr als sonst üblich. Ich sauge meine Umgebung in mich ein, Bilder entstehen vor meinem inneren Auge. Szenen bauen sich auf. Ich schätze ab, bewerte das was ich um mich herum sehe. Vielleicht jenes Motiv?
Reicht die Zeit meine Einstellungen vorzunehmen? Die Tauben auf dem Stadtplatz? Oder doch die Blümchen? Die wehren sich wenigstens nicht, und vor allem laufen nicht weg. Ha!
Mit dem Hammer auf den Amboss
Ich bekomme plötzlich eine ganz neue Wahrnehmung. Das digitale Kind reift, steigt wie Phönix aus der Asche auf, indem es sich dem Regelwerk der Physik unterwirft. Dem digitalen “Spray & Pray” entflohen begebe ich mich in eine andere Welt; ja beinahe avantgardistisch fühlt es sich an mit der Leica M6 unterwegs zu sein. Entkoppelt vom hektischen Rauschen um mich herum, mit Schnittbild und Belichtungsmesser ausgestattet erlebe ich ein Handwerk nochmals neu. Begriffe wie „artisan and artist“ oder „Craftsmanship“ schwirren mir durch den Kopf. Eine Verbundenheit zu den alten Meistern einer heute digital verhunzten Handwerkskunst baut sich auf.
Ok ich muss etwas mit mehr Konzept fotografieren. Model organisiert (Danke Coco). Location: Ammersee. Die Zeit scheint sich ins unendliche zu strecken. Was bisher zackig im Kasten war erfordert echtes erarbeiten. Blende und Zeit wollen manuell gewählt werden. Ansetzen, messen. Passt nicht. Mein Kopf analysiert rum. Könnte zwei Blenden mehr vertragen. Jetzt stimmts. Dann fokussieren. Das Schnittbild stimmt. Was macht der Belichtungsmesser? *KlickRatsch* Geschafft. Filme voll.
“Kellner? Die Rechnung bitte!”
Ein paar Tage später, der Tag der Wahrheit. Mexican Stand off. Eine lange Strasse in irgendeinem Kaff. Die Sonne brennt ohne Erbarmen vom Himmel. Steppenläufer werden vom Wind durch die Szene getrieben. Meine Gegner: Zwei Spulen schwarz/weiß Film. Meine Waffen: Entwicklertank, Entwickler und Fixierer.
#blackandwhiteisworththefight
“Um das Gesamtbild zu erfassen gehört auch dazu den Film selber zu entwickeln.” Recht hat er, der Mark. Ich lerne was Filmspule, Spindel und Entwicklertank sind. Ein leerer Farbfilm wird geopfert. Ich übe das aufspulen des Films auf die Spule. Einmal. Noch einmal. Dann mit geschlossenen Augen. Schließlich muss das später in völliger Dunkelheit funktionieren. Rote Lampe in der Dunkelkammer? Firlefanz.
Links unten im Bild sind meine zwei belichteten Ilford Schwarz/Weiß Filme. In der Mitte Jobo Entwicklertank und Filmspulen auf der Spindel.
Das aufspulen will geübt sein. Nicht dass etwas schief geht später.
„Greifen wir’s an“ sind meine Worte. Ab in den Keller in die Dunkelkammer. Die Filme werden leicht aus ihren Filmdosen gezogen um sie auf die Spulen schieben zu können. Alles wird schön sauber auf den Tisch gelegt damit man es in der Dunkelheit wieder findet.
„Bereit?“ fragt mich Mark. Ein letztes Mal tief durchatmen. Ich gebe das Go. Licht aus. Blos keine Panik. Nach der Filmdose tasten, aufspulen, abschneiden. Film drauf. Spule auf die Spindel. Noch einmal mit dem 2. Film. Spindel in die Entwicklerdose. Deckel drauf. Geschafft! Der knifflige Teil liegt hinter mir. Licht an.
Jetzt kann eigentlich fast nichts mehr schiefgehen. Der Entwicklertank wird mit Entwickler gefüllt. Kippeeeen! Entwickler raus. Erste Spülung mit Wasser. Raus. Fixierer rein. Kippen. Fixierer zurück. Drei Runden spülen.
Meine Aufregung steigt als ich den Tank öffne und die Spindel mit den Filmspulen raushole. „Oh, dunkel geworden..“ meint Mark. Egal. Ich bin glücklich.
Wir hängen die Filme zum trocknen, und werfen erst mal den Grill an. Bierchen dazu. Klönen übers Knipsen, wie es mir analog ergangen ist.
Später rettet mir der Scanvorgang der Negative die Haut. Die Batterie des Belichtungsmessers scheint nicht mehr ganz so getan zu haben. Möglich, kann ich nicht sagen…
Der erste Scan zeigt die Positive viel zu hell. Ausgebrannt. Ein paar Einstellungen später siehts besser aus. Film verzeiht und liebt dich wo du es nicht erwartest, um dir später in den Arsch zu treten wenn du dich drauf verlässt.
Ohne Instagram Filter
Fazit: Schwer angefixt! Sich auf analog einzulassen bedeutet für mich einen komplett neuen Spin in meinem Arbeiten. Auch im Digitalen. Man nimmt noch genauer wahr, beobachtet umfassender, und wird sich bewusst dass man tatsächlich ein Handwerk betreibt. Und dass es tatsächlich auf die Person hinter der Kamera ankommt. Schade dass das Digital so vieles von dieser Kunstfertigkeit verschwinden lässt. Wiederholungsgefahr ist auf jeden Fall vorhanden. Ich bin gespannt ob mir das mit der Überbelichtung nochmals passiert beim nächsten Versuch.
Ansonsten finde ich die Bilder einfach nur geil! Derbes Korn, dreckig. Perfekt in der Unperfektion!
Anmerkung: Auch wenn der Ausdruck von Coco auf den Bildern machmal sicher nicht perfekt ist, seht einfach darüber hinweg. Ich hab einfach zu lange gebraucht bis ich das Bild im Kasten hatte. Danke Coco für deine Geduld!
Und hier sind meine Bilder. Alle. Ungeschönt. Viel Spass.
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